Im Interview: Unser neuer Vorstandsvorsitzender Mike Keune
Seit dem 01. September 2024 ist Herr Mike Keune neuer Vorstandsvorsitzender der Stiftung Evangelische Jugendhilfe und ihren Gesellschaften. In diesem Interview erfahren Sie mehr über seine Hintergründe und Erfahrungen, welche Ziele und Visionen er gemeinsam mit den anderen Vorstandsmitgliedern verfolgt und was ihm persönlich wichtig ist.
Lieber Herr Keune, Sie haben bereits 7 Jahre Erfahrung in der Stiftung gesammelt. Können Sie uns erzählen, was Sie in dieser Zeit besonders geprägt hat und wie diese Erfahrungen Ihre neue Rolle als Vorstandsvorsitzender beeinflussen werden?
Was mir in der ganzen Zeit in der Stiftung und in der Art und Weise, wie sie arbeitet, besonders positiv aufgefallen ist – ebenso wie bei den Kolleginnen und Kollegen untereinander – ist, dass es eine sehr, sehr freundliche Art des Arbeitens und Miteinanders gibt. Wir sind eine sehr große Organisation mit 1.500 Mitarbeitenden, und da könnte man vermuten, dass es eine starke Hierarchie oder Ähnliches gibt. Das alles gibt es jedoch nicht, sondern es herrscht stets ein sehr wohlwollendes Miteinander auf Augenhöhe, und das ist etwas, das ich sehr zu schätzen gelernt habe und unbedingt beibehalten möchte.
Sie waren auch in der Gemeindearbeit aktiv. Inwiefern spielen Ihr Glaube und Ihre Werte eine Rolle in Ihrer Führungsphilosophie?
Grundsätzlich ist ein christliches Menschenbild das, woran ich glaube und was ich für mich selbst annehme. Die Gemeinde, in diesem Fall die Domgemeinde Magdeburg, der ich angehöre, ist wahrscheinlich vergleichbar mit unserer Stiftung.
Zumindest lassen sich Parallelen ziehen. Dort findet man immer eine sehr freundschaftliche Atmosphäre, ein sehr gutes Miteinander und ein Lächeln. Das ist das, was ich aus dem Gemeindeleben immer mitnehme und was uns als Christen ausmacht und was für die Arbeit mit Menschen insgesamt wichtig ist.
Was sind Ihre wichtigsten Ziele für die Stiftung in den kommenden Jahren?
Was sind Ihre wichtigsten Ziele für die Stiftung in den kommenden Jahren? Die drei Vorstandsmitglieder sind natürlich prinzipiell erst einmal an die grundlegenden Richtungen und Beschlüsse des Kuratoriums, also des Aufsichtsrats, gebunden. Der Aufsichtsrat hat in einer sehr guten Diskussion mit dem Vorstand in einer der letzten Sitzungen reflektiert und beschlossen, was die Ziele in den nächsten fünf bis zehn Jahren sein sollten.
Wir haben uns grundsätzlich für ein organisches Wachstum entschieden. Das bedeutet, erst einmal anzuerkennen, dass das, was wir bisher gemacht haben, schon sehr gut ist. Wir sind in den letzten 30 Jahren bereits sehr stark gewachsen. Es ist nicht beabsichtigt, dieses Wachstum in den nächsten 30 Jahren in ähnlicher Geschwindigkeit und Größenordnung weiterzuführen, sondern das, was wir bisher erreicht haben, in der Qualität und Tiefe weiterzuentwickeln. Dabei möchten wir schauen, ob manche Prozesse vielleicht noch nachgebessert werden können, um es den Mitarbeitenden in ihrer Arbeit und dann natürlich auch den betreuten Kindern sowie Klientinnen und Klienten zugutekommen zu lassen.
Es soll also nicht das Motto verfolgt werden: schneller, größer, weiter. Vielmehr wollen wir das, was wir bereits tun – und das ist eine sehr gute Arbeit für die Kinder und Jugendlichen in Sachsen-Anhalt –, würdigen, die Qualität halten und vielleicht auch noch ein Stück weit verbessern.
Die Stiftung ist in vielen verschiedenen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe tätig. Gibt es bestimmte Bereiche, die Sie besonders fördern oder ausbauen möchten?
Unter den drei Vorstandsmitgliedern werden wir uns die Arbeitsschwerpunkte etwas aufteilen. Dabei wird es unter anderem auch meine Aufgabe sein, die strukturierte Bildung, sprich allgemeinbildende Schulen, Kitas und Horte, besonders im Blick zu haben. Natürlich betrachten alle drei Vorstandsmitglieder immer alle Arbeitsbereiche, also auch die Migration und die Jugendhilfe usw. Da wir allerdings eine sehr große Stiftung sind, ist es sinnvoll, sich auf Schwerpunkte gemäß unserer sich ergänzenden Expertisen zu stützen.
Ein weiterer Hauptschwerpunkt meiner Arbeit wird die Digitalisierung und Internationalisierung sein.
Welche Rolle spielt das Thema Digitalisierung in Ihrer Vision für die Stiftung?
Da ich nicht nur Gymnasiallehrer, sondern auch studierter Informatiker bin, liegt mir die sinnvolle Integration der Digitalisierung in unserer Arbeit natürlich besonders am Herzen. Den Einzug der Digitalisierung und auch der künstlichen Intelligenz in allen Bereichen des Lebens beobachten wir seit einigen Jahren.
Man muss hier sicherlich auch kritisch hinterfragen und aufpassen, dass nicht die KI oder die Digitalisierung die Führung übernimmt. Es muss nach wie vor unser Motto bleiben, dass die Technik das tut, was wir wollen, also uns unterstützt und nicht umgekehrt. Wir möchten keine Aussagen wie z. B. „Das geht jetzt in der Informatik so nicht, deshalb passe ich meine Arbeit an.“ So kann es nicht sein, sondern unsere Arbeit kann durch einen kontrollierten Digitalisierungsprozess unterstützt werden. Ich hoffe mir dadurch die Entlastung der Mitarbeitenden in beispielsweise Routinetätigkeiten oder Verwaltungstätigkeiten, die nicht unbedingt per Hand, Papier und Stift gemacht werden müssen, sondern vielleicht auch effizienter und fehlerfreier mit digitaler Unterstützung.
Wie möchten Sie sicherstellen, dass die Stiftung auch in Zukunft ein attraktiver Arbeitgeber bleibt?
Das ist bei dem gegebenen Fachkräftemarkt in Deutschland eine der großen Aufgaben eines jeden Arbeitgebers. Es ist eine komplexe Herausforderung, sicherzustellen, dass die Stiftung Evangelische Jugendhilfe so besonders bleibt, dass die Mitarbeitenden gern bei uns arbeiten, bleiben und nicht woanders hin wechseln. Da gibt es keine leichten und einfachen Antworten. Man kann nicht einfach sagen: „Okay, wir machen jetzt dieses und jenes und dann bleiben alle bei uns oder kommen zu uns.“ Das wird es nicht sein. Sondern es geht um eine attraktive Gestaltung des Arbeitsplatzes, eine Wertschätzung des einzelnen Kollegen oder der einzelnen Kollegin, ein gutes Maß an Selbstständigkeit und nicht nur Tätigkeiten auszuführen, die einem angewiesen werden.
Ich möchte eher sagen: „Du kennst deine Aufgabe. Bitte nutze deinen Freiraum, um zu entscheiden, wie du diese möglichst kreativ umsetzt, und zwar im Sinne der Jugendlichen und Betreuten. “Natürlich gibt es daneben auch weiche Faktoren, die wir versuchen umzusetzen. Das sind beispielsweise kleine Gimmicks, die zusätzlich nett sind. Aber ich glaube nicht, dass man wegen eines Fahrradzuschusses unbedingt bleiben würde. Allerdings schadet es auch nicht, wenn es einen gibt.
Was treibt Sie an, in der Kinder- und Jugendhilfe tätig zu sein?
Im weitesten Sinne bin ich schon immer in diesem Bereich tätig gewesen, wenn ich meine Erfahrungen als Lehrer und Schulleiter als Unterstützung von Kindern und Jugendlichen betrachte – auch wenn das formal gesetzlich nicht zur Kinder- und Jugendhilfe zählt. Wenn mich jemand fragt, warum ich Lehrer geworden bin oder warum ich das tue, was ich heute tue, dann antworte ich: „Nun ja, früher schwankte ich zwischen der Entscheidung, Kellner oder Lehrer zu werden.“ Das scheinen auf den ersten Blick unterschiedliche Berufe zu sein. Vielleicht ist es aber doch gar nicht so verschieden.
Denn sowohl als Kellner als auch als Lehrer – und vielleicht auch als Mitglied eines Vorstands – geht es darum, den Menschen, denen man begegnet, ein gutes Gefühl zu geben, damit sie ihre Tätigkeit oder ihren Aufenthalt so angenehm wie möglich erleben. Kindern in der Schule soll es Freude machen, dort zu sein. Kindern, die bei uns in der Jugendhilfe betreut werden, soll es trotz ihrer oft schwierigen Hintergründe bei uns gefallen, und sie sollen hier möglichst glücklich werden. Und auch die Kolleginnen und Kollegen sollen Freude an ihrer Arbeit haben und sich bei uns wohlfühlen.
Das kann ein Kellner erreichen, indem er ein Glas Wasser bringt. Und das können wir in unserer Stiftung als Mitarbeiter oder im Vorstand erreichen, indem wir unsere Kolleginnen und Kollegen sowie die Kinder unterstützen.
Welche Werte sind Ihnen in Ihrer Arbeit besonders wichtig?
Ich bin kein Mensch, der spontan seine Werte aufzählen könnte. Ich glaube, das liegt daran, dass ich vieles von dem, was ich vertrete, als selbstverständlich ansehe. Aber um es explizit zu nennen, sind es sicherlich Werte wie Toleranz, Akzeptanz und Loyalität. Doch auch eine gewisse Anstrengungsbereitschaft ist mir wichtig. Dazu gehören auch Ernsthaftigkeit und Verantwortungsbewusstsein. Ebenso ist mir der Spaß an der Arbeit wichtig. Spaß an der Arbeit ist vielleicht kein Wert im klassischen Sinne, aber ich empfinde ihn zumindest als sehr wertvoll.
Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?
Unser Führungsstil in der Stiftung basiert auf dem Prinzip der „umgekehrten Dienstleistungspyramide“. Das bedeutet, dass wir uns – vom Vorstand über die Bereichsleiter bis hin zu den Einrichtungsleitungen – als Dienstleister für unsere Mitarbeitenden verstehen. Es geht nicht darum, dass der Vorstand Anweisungen gibt und die Mitarbeiter diese einfach ausführen. Das mag in manchen Unternehmen funktionieren, aber in einem sozial engagierten Bereich wie dem unseren macht das keinen Sinn.
Unsere Mitarbeitenden, die direkt mit Kindern, Jugendlichen oder Geflüchteten und Betreuten arbeiten, haben den persönlichen Kontakt – und der ist in einem sozialen Beruf entscheidend. Da hilft es wenig, wenn von oben herab Anweisungen kommen. Wir sehen uns als unterstützende Organe. Wenn ein Kollege nicht weiterkommt, kann er sich an seine Einrichtungsleitung, die Schulleitung oder den Bereichsleiter wenden. Und wenn auch diese keine Lösung finden, steht der Vorstand bereit, um zu unterstützen.
Natürlich gibt es vorgegebene Rahmenbedingungen und Ziele, die der Vorstand vorgibt und deren Einhaltung er sicherstellen muss. Aber auch hier geht es darum, unterstützend zu wirken und gegebenenfalls gemeinsam neue Wege zu finden oder auch mal Projekte abzulehnen, die nicht zu unserem Arbeitsfeld passen.
Das ist eine Form der Leitung, die ich unterstütze und lebe.
Was möchten Sie den Mitarbeitenden der Stiftung mit auf den Weg geben?
Ich möchte alle motivieren, immer freundlich zu sein, zu lächeln und Spaß an der Arbeit zu haben. Wenn mal etwas keinen Spaß macht, weil man an einer Stelle besser arbeiten könnte oder es besser für das Kind oder die Betreuten wäre, wenn wir es anders machen würden, dann möchte ich dazu einladen, bitte nicht hinter dem Zaun zu halten, sondern die Kritik offen zu äußern. Man kann gerne sagen: „Ich habe hier eine Idee oder einen Vorschlag, oder mir gefällt etwas nicht.“ Das finde ich besser, als den Ärger mit sich herumzutragen.
Gibt es etwas, das Sie den Mitarbeitenden verraten können, was nicht in Ihrer Vita steht?
Ich liebe England und Großbritannien und höre in meiner Freizeit ganz gerne Virgin Radio. Das ist ein 80er-Jahre-Sender, den es jetzt wieder gibt. Digitalisierung sei Dank!
Was machen Sie gerne in Ihrer Freizeit, um sich zu entspannen und neue Energie zu tanken?
Ich mache gerne Sport, was ich eine Zeit lang vernachlässigt habe. Aber ich glaube, dass es wirklich gut ist, wenn man regelmäßig Sport treibt und dadurch einen guten Ausgleich findet, egal welche Sportart das ist. Bei mir ist es zurzeit viel Joggen. Früher habe ich viel Rad gefahren und Ski gefahren, aber derzeit laufe ich hauptsächlich gerne. Ansonsten lese ich analoge Bücher, also tatsächlich solche aus Papier, obwohl ich ja ein Digitalisierungsfan bin. Aber Papier und Bücher passen bei mir gut zusammen.